Magnus Carlsen hat sich erneut als Sieger des prestigeträchtigen Schachturniers in Stavanger durchgesetzt – zum sechsten Mal in den letzten sieben Jahren. Doch diesmal fiel der Triumph denkbar knapp aus: Nur ein halber Punkt trennte ihn am Ende vom zweitplatzierten Fabiano Caruana.

Carlsen selbst zeigte sich kritisch gegenüber seiner Leistung: „Ein Sieg mit nur einem halben Punkt Vorsprung, nachdem viele Ergebnisse zu meinen Gunsten gelaufen sind, fühlt sich nicht wie eine echte Machtdemonstration an.“ Der Schlüsselmoment des Turniers war sein zweites Aufeinandertreffen mit dem indischen Weltmeister Gukesh Dommaraju, in dem Carlsen aus einer klaren Gewinnstellung den Sieg aus der Hand gab – und aus Frust mit der Faust auf den Tisch schlug.

„Die Armageddon-Partien waren katastrophal“, räumte Carlsen ein. Dennoch hob er hervor, dass er in der klassischen Bedenkzeit ein Plus-Zwei-Ergebnis erzielt habe und insgesamt das beste Schach gespielt habe – abgesehen von der bitteren Partie in Runde sechs und dem emotionalen Ausbruch.

Der Moment des Tischschlags ging viral – selbst der Fußballverein Paris Saint-Germain nutzte Gukeshs schockierten Gesichtsausdruck, um das Gefühl des ersten Champions-League-Titels zu beschreiben.

Im Rückblick zeigte sich Carlsen selbstkritisch: „Es war sicher nicht meine beste Stunde. Aber ich bereue die schlechten Züge mehr als die Geste – das war einfach ein spontaner Moment.“ Der Norweger betonte, dass sich sein Ärger nur gegen ihn selbst gerichtet habe. Die emotionale Belastung sei so groß gewesen, dass er auf der Rückfahrt aus dem Auto steigen musste, um sich wieder zu sammeln.

Für die Verfolger Hikaru Nakamura (Weltrangliste Nr. 2) und Fabiano Caruana (Nr. 3) stand vor allem ein starkes Turnierergebnis im Fokus. Nakamura wollte zudem seinen Vorsprung im Rennen um den FIDE-Kandidatenplatz für 2026 gegenüber Arjun Erigaisi sichern – was ihm auch gelang. Caruana wiederum war in der vorletzten Runde sogar nah dran, den Turniersieg zu holen.

Das Turnier in Stavanger nutzt ein besonderes Format: 40 Züge in zwei Stunden, danach nur noch zehn Sekunden pro Zug. Kommt es zu einem Remis, folgt eine Armageddon-Partie – bei der ein Unentschieden als Sieg für Schwarz gewertet wird. Der Wert eines Sieges in der klassischen Partie liegt bei drei Punkten, wodurch die Entscheidungsspiele besonders an Bedeutung gewinnen. Eine der dramatischsten Partien war Gukesh gegen Carlsen, bei der sich zwischen Zug 40 und 50 der Spielverlauf komplett drehte. Für das Publikum war das ein Spektakel, für Vereinsspieler aber kaum vorstellbar.

Parallel dazu fand in Stavanger ein Frauenturnier mit dem identischen Preisgeld von 150.000 Dollar statt. Während Carlsen, Caruana und Gukesh viel mediale Aufmerksamkeit erhielten, blieb das Frauenevent weitgehend unbeachtet. Dabei bot es durchaus spannende Partien: Die Ukrainerin Anna Musytschuk sicherte sich den Turniersieg, während die amtierende Weltmeisterin Ju Wenjun aus China nur Platz vier belegte.

Anna Musytschuk (35) und ihre Schwester Mariya (32), selbst Ex-Weltmeisterin, gelten neben den berühmten Polgar-Schwestern aus Ungarn als das stärkste Schwesternpaar im Weltschach. Die beiden arbeiten eng zusammen – bei Turnieren übernimmt jeweils eine die Rolle der Sekundantin. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere funktioniert das Zusammenspiel hervorragend. In klassischen Partien trennten sie sich bisher immer remis – im Blitzschach führt Anna mit 2:0.